Dienstag, 16. Juni 2015

Die Distelfalter kommen

Kreis Lippe /Juni 2015. Ein seltenes Naturphänomen kann man zurzeit in unserer Region erleben: Große Mengen wandernder Distelfalter (Vanessa cardui) sind dabei, ganz Deutschland zu „erobern“.

Von einem Tag auf den anderen sind seit einiger Zeit auch auf Feldern und Wiesen, in Dörfern und Städten in Lippe zahlreiche hübsch orange, weiß und schwarz gezeichnete Schmetterlinge unterwegs. Bei genauerer Betrachtung sieht man den meisten der Tiere allerdings an, dass sie Hunderte von Kilometern hinter sich gebracht haben. So sind die Flügel oft schon arg zerschlissen und stark beschädigt!

Teils sausen sie schnell und gradlinig vorbei, teils flattern sie direkt vor den Füßen des Spaziergängers aus dem Gras am Wegrand auf. Es handelt sich dabei um Distelfalter, die wie jedes Jahr aus Nordafrika übers Mittelmeer und die Alpen je nach „Wanderlust“ nach Mittel- oder sogar Nordeuropa ziehen. Entlang der Wanderstrecken legen sie, meist an Disteln oder Brennnesseln, ihre Eier ab.

Doch während der Einflug in den vergangenen Jahren eher „tröpfchenweise“ erfolgte, handelt es sich in diesem Sommer um einen regelrechten Masseneinflug von einigen Millionen Tieren, wie er zuletzt im Jahr 2009 auffallend vorkam und eigentlich eher selten stattfindet. Die Distelfalter kommen in mehreren Wellen durch unsere Region und wurden schon seit April in Südeuropa beobachtet. Ein Teil bleibt hier, andere ziehen weiter Richtung Norden und Osten und stoßen sogar bis nach Island vor.

Die Auslöser für den Zug der Distelfalter sind bisher weitgehend ungeklärt: „Wahrscheinlich spielt Nahrungsmangel in den Ursprungsgebieten eine Rolle bei diesem rein instinktiv gesteuerten Verhalten. Wenn dann auch noch günstige Winde dazu kommen, brechen sie einzeln, aber wie auf Kommando auf und können mitunter weit mehr als 100 Kilometer am Tag zurücklegen. Die Nachkommen der Einwanderer versuchen, ähnlich wie beim Admiral, zum Herbstbeginn wieder nach Nordafrika zurückzukehren“, so der Schmetterlingskundler Hans Dudler.

Das Schauspiel des Distelfalter-Einfluges ist grundsätzlich Jahr für Jahr zu beobachten, allerdings nur selten in dieser Intensität.

Für die Land- und Forstwirtschaft bestehe nach NABU-Angaben aber keine Gefahr, weil sich die Raupen der Distelfalter überwiegend von Disteln oder Brennnesseln ernährten. Im Gegenteil – viele der Eier, Raupen und Puppen (die sogenannten „Ersten Stände“) des Distelfalters fallen gebietsweise dem ungebremsten Einsatz von Pestiziden an Ruderalstandorten, also an Stellen wo gemeinhin Brennnesseln oder Disteln vermehrt auftreten, zum Opfer!

Forscher staunen mit Naturfreunden immer wieder über solche Phänomene, sorgen sich andererseits aber um die heimische Artenvielfalt.

Während das Ereignis Spezialisten für Wanderfalter in helle Aufregung versetzt, sind Experten für heimische Falterarten zwiegespalten: Einerseits eint sie die Freude über das Massenphänomen mit ihren Kollegen. Andererseits beklagen sie besorgniserregend geringe, zum Teil dramatisch zurückgehende Zahlen einheimischer Arten wie etwa vielen Wiesenfaltern, Bewohner von Feuchtgebieten sowie Tieren der Magerstandorte, so bei den Bläulingen, vielen Augenfaltern und auch etwa dem Schwalbenschwanz, einem unserer markantesten Tagfalter überhaupt. Klar ist, dass klimatische Schwankungen und veränderte Landnutzung auf die Artenvielfalt wirken. Nährstoffarme Standorte gehen verloren, neben der Eutrophierung von Flächen spielt auch die Anwendung von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln eine entscheidende Rolle beim Rückgang der Tagschmetterlinge. Kontinuierlich gehen Lebensräume durch Zersiedelung der Landschaft und Versiegelung der Landschaft verloren.

Winde tragen die Tiere nordwärts

„Es ist ein schönes Naturschauspiel, was wir jetzt sehen“, sagt Hans Dudler, Insektenkundler beim NABU Lippe. Als hätten sich die Falter verabredet, folgen sie einer Richtung – und das, obwohl sie weder untereinander kommunizieren noch koordiniert ausschwärmen, wie etwa Zugvögel es tun. Unterstützt von sanft wehenden Winden schaffen die Falter große Distanzen in relativ kurzer Zeit.

„Uns wäre daran gelegen, zu erfahren, an welchen Pflanzenarten Distelfalter Eier ablegen. Denn neben Disteln können den Raupen auch Brennnesseln sowie verschiedene Arten wie etwa Kreuz- und Korbblütler oder Malvengewächse als Futterpflanzen nutzen“, erläutert Hans Dudler.

Beobachtungshinweise möglichst mit Foto und Ortsangabe bitte an:

info@nabu-leo.de

Foto: NABU Lippe/Thies


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